Es gibt in Mitteleuropa nur wenige Kleinstädte, deren historische Entwicklung über Jahrhunderte so eng mit der Weltgeschichte verbunden ist wie jene von Gmünd. Im Besonderen gilt dies auch für Gmünd-Neustadt: seit dem Bestehen war die Entwicklung dieses Stadtteiles eng mit den weltgeschichtlichen Ereignissen des 20. Jahrhunderts und deren Auswirkungen sehr eng ver-bunden.
Ursachen und Auswirkungen des Ersten Weltkriegs werden in der Fachliteratur mehrfach als „Urkatastrophe“ des 20. Jahrhunderts bezeichnet. Im Blick auf diese programmatische Bezeichnung ist es fast unmöglich, aus den sich laufend neuentfaltenden Aspekten dieses Weltkriegs (die wiederum in nationale, staatliche, kulturelle, soziologische und kriegerische Rahmenbedingungen verwickelt sind), ein Gesamtpaket zu schnüren. Es kann sich dabei immer nur, wie Arthur Schnitzler schon bemerkte, um „den millionsten Teil eines Millionstels“ handeln. Flucht und Vertreibung sind so alt wie die Menschheitsgeschichte.
Die Verbannung der Israeliten in das babylonische Exil nach dem Fall Jerusalems oder die Vertreibung der Hugenotten aus Frankreich im 17. Jahrhundert sind bekannte historische Beispiele. Das 20. Jahrhundert wurde rasch von Vertreibung und Flucht geprägt und erzählt von Millionen Betroffenen und unzähligen menschlichen Tragödien.
Die Geschichte des Stadtteiles Gmünd-Neustadt als tragische „Flüchtlingsgeschichte“ zu deuten wäre oberflächlich, legt aber die folgende Chronologie immer wieder nahe: Seit ihrer Erschließung im Jahr 1914 war die Neustadt, ein Zufluchtsort für Menschen aller Generationen des 20. Jahrhunderts. Beginnend mit den anfangs ausschließlich ruthenischen Flüchtlingen im Ersten Weltkrieg, zu den „Optanten des Friedensvertrags“ von St. Ger-main, den sudetendeutschen Flüchtlingen 1945 bis zu den weni-gen aber grauen- und leidvollen Monaten der ungarischen Juden im Getreidespeicher ab Dezember 1944. Sie werden in diesem Buch auch die schönen Momente in der Geschichte dieses Stadtteiles erleben können. Aufbrüche, Hoffnungen und die Freude der Menschen sind stets ein wesentlicher Bestandteil jeder Geschichte.
Das Buch „Am Anfang war das Lager“ ist aus den Recherchen und der Vorarbeit für die gleichnamige Ausstellung im Gedenkjahr 2014 entstanden. Es soll dem Leser die Möglichkeit bieten, sich auf eine Wanderung durch die letzten 10 Dekaden zu begeben. Was da an einem vorüberzieht sind die Auswirkungen der großen Weltgeschichte, aber auch die Schicksale, Freuden und Aufbrüche des Einzelnen.
Ein herzliches Dankeschön gilt allen, die Fotos und Dokumente zur Verfügung gestellt haben. Sofern die Fotos nicht aus dem Gmünder Stadtarchiv stammen, sind sie entsprechend gekenn-zeichnet. Wir danken auch der Stadtgemeinde Gmünd, besonders aber dem Bürgermeister Andreas Beer, MA, der uns eingeladen hat, dieses Werk zu verfassen.
Wir wünschen Ihnen beim Durchblättern und Lesen dieses Buches viele fesselnde Momente. Machen Sie sich mit uns auf die Reise durch die Geschichte Gmünd-Neustadts, von den Anfängen im Flüchtlingslager bis hin zur Neustadt der Gegenwart.
Die Autoren
Manfred Dacho - Franz Drach - Harald Winkler
INHALT
Das Lager
Das Jahr 1914
Die „Urzeit der Neustadt“
Die Flucht beginnt
Das Lager entsteht
Das Lager und Hans Fürnsinn
Ein „Big Apple“ in Niederösterreich
Die Einrichtungen
Bildung und Kultur im Lager
Das Lager und der Tod
Zeitzeugen berichten
Die Kroaten im Gmünder Lager
Ausschnitt aus dem ukrainischen Buch
"Gmünd, Stadt der ukrainischen Flüchtlinge und
Ausgewiesenen in der Zeit des Ersten Weltkrieges.
1914–1918" (Wasil Makowski)
Alltag im Gmünder Lager
Pressesplitter:
Das schrieb man über die Geschehnisse im Gmünder Lager /
Eine Chronologie
Torschluss im Gmünder Flüchtlingslager
Der Weg zur Neustadt
Gmünd und die Grenze
Vom Lagerspital bis zum Landesklinikum
Die Wirtschaft
Die Bobbin
Die Firma Heinisch
Die Weberei Hutter & Welt
Die Agrana
Die Molkereigenossenschaft Die Bau- und Holz AG
Die Firma Leyrer + Graf
Die Trafik der Neustadt
Die Greissler der Neustadt
Die Gesellschaft
Der Kindergarten der Neustadt
Die Schule der Neustadt
Die Gendarmerie der Neustadt
Das Postamt der Neustadt
Der Sport in der Neustadt
Das Kino der Neustadt
Der Arbeitergesangsverein
Das Arbeiterheim
Spielplätze in der Neustadt
Die Neustadt und ihr Aßangteich
Die Bevölkerung
Wohnen in der Neustadt
Die Feuerwehr der Neustadt
Der Neustädter und sein Wirtshaus
Der Bürgermeister auf dem Rad – Franz Chaloupek
Das kirchliche Leben
Der erste Pfarrer der Neustadt Pater Richard Wagner
Das NS-Regime
Widerstand und Verfolgung 1934-1945
Der Nationalsozialismus in der Neustadt
Die Juden in der Neustadt
Gmünder Soldaten ziehen ins Feld
Das Reichsarbeitsdienstlager
Der Bombenangriff vom 23. März 1945
Die Nachkriegszeit